Die Regierung hat den Gesetzentwurf zu ALG II verabschiedet. Fünf Euro mehr im Monat und eine Bildungskarte für Kinder – mit diesen „Wohltaten“ wollte die Bundesregierung den Eindruck der Großzügigkeit gegenüber Erwerbslosen erwecken. Real wurden die Hartz IV-Regelsätze allerdings gekürzt, insbesondere bei den Schulkindern. Eine geschickte Medienstrategie sollte das Weiterdrehen der Spirale in Armut und Niedriglohn für viele Beschäftigte vertuschen. Wie wurden die realen Kürzungen vorgenommen?
Regelsatzkürzung durch Inflation
Wenn der ALG II-Regelsatz seit 2005 an die Teuerungsrate angeglichen worden wäre, müsste er um 15,- € höher sein. Der Trick, Hartz IV an die Rente zu koppeln, die in den letzten Jahren gesunken ist, hat sich für die Regierung ausgezahlt. Nun soll sich der Regelsatz an die Lohnentwicklung anpassen können. Ober überhaupt angehoben wird, liegt im Ermessen der Regierung.
Regelsatzkürzung durch pauschalierte Miete
Die Kommunen sollen in Zukunft die Kosten der Unterkunft (Miete plus Neben- und Heizkosten) pauschalieren können. Das heißt, dass für Stadtteile feste Obergrenzen der Unterkunftskosten festgelegt werden, wer mehr zu zahlen hat muss das aus dem Regelsatz bestreiten oder umziehen. Die Verdrängung von Erwerbslosen und Niedriglohnbeziehern in die Randgebiete wird damit vorangetrieben.
Regelsatzkürzung durch Willkür
Kürzungen des Regelsatzes durch Sanktionen können in Zukunft auch ohne schriftliche Rechtsfolgenbelehrung vorgenommen werden. Wenn man davon ausgehen könne, dass der Betroffene die Rechtsfolgen hätte wissen müssen reicht eine mündliche Sanktionsverhängung. „Künftig kann eine Pflichtverletzung im Sinne der Vorschrift auch vorliegen, wenn der Leistungsberechtigte die Rechtsfolgen seines Verhaltens kannte. Der Nachweis über eine schriftliche Rechtsfolgenbelehrung muss in diesem Fall nicht geführt werden.“ Das ist ein weiterer Rechtsabbau, die Willkür auf den Ämtern wird zunehmen.
Regelsatzkürzung durch statistische Tricks
Statt den untersten 20% der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe wurden nur noch die ärmsten 15% ausgewählt. Als Bezugsgröße für den Regelsatz wurden somit die Ausgaben der untersten 3% der Lohnbezieher herangezogen, der Rest der Einkommen in den untersten 15% sind Rentner und BAFÖG-Empfänger. Von den Ausgaben der ärmsten 15% wurden zudem einige Posten gekürzt, andere ganz herausgenommen.
Mehr Kinderarmut durch Statistik-Trick Nr. 2
Als Rahmen für den Kinderregelsatz dient der durchschnittliche Familienverbrauch der untersten 15%. Dieser Verbrauch wird auf Erwachsene und Kinder verteilt. Dabei hat man den Anteil der Erwachsenen von bisher je 90% auf 95% erhöht und damit automatisch den Anteil der Heranwachsenden (6 bis 14 Jahre) reduziert. Den Bedarf für Schulmaterialien hat man ganz rausgenommen und auf die vielgepriesene „Bildungskarte“ gepackt, von der noch niemand weiß, ob sie kommt, wie sie kommt, was drauf ist und wer sie nutzen darf. Sie ist also nicht mehr als ein propagandistischer Trick, finanziert vom bisherigen Regelsatz der Schulkinder.
Regelsatzkürzung durch weniger Freibetrag
In einem Punkt haben sich die Kapitalverbände aber noch nicht ganz durchgesetzt: Bei den Zuverdienstgrenzen. Ihre Forderung war, die ersten 200,- € aus Arbeitseinkommen ganz vom Regelsatz abzuziehen und dafür auf das folgende Einkommen 40% Freibetrag anzurechnen. Das „Taschengeld-Hinzuverdienen“, wie die Herren aus den Unternehmensführungen die Minijobs nennen, sollte damit abgeschafft werden – oft die einzige Verdienstmöglichkeit insbesondere für Frauen und Alleinerziehende. Doch mit dieser Forderung geht es nur stückweise voran. So hat die Bundesregierung lediglich beschlossen, den Zuverdienst zwischen 800,- € und 1000,- € von 10% auf 20% zu erhöhen, der Rest soll unverändert bleiben. Der Effekt auf die Lohnstruktur dürfte trotzdem nicht ausbleiben, eine weitere Absenkung der Freibeträge der ersten 100,- bzw. 200,- € könnte noch per Salamitaktik folgen.
Armuts-Automatismus durchbrechen
Die untersten Einkommen mussten in den letzten Jahren dank Hartz IV und Arbeitsmarktreformen starke Lohnverluste hinnehmen. Diese Einkommen dienen der Berechnung des Existenzminimums, das wiederum als Lohnuntergrenze dient. Je niedriger die Löhne sind, desto niedriger ist das Existenzminimum und auch umgekehrt: Je niedriger Hartz IV, desto niedriger die Löhne. Ein perfider Automatismus, der nur durch einen höheren Regelsatz von 500,- € und einen gesetzlichen Mindestlohn von 10,- € gestoppt werden könnte. Das ist allerdings ganz und gar nicht im Interesse der Unternehmerverbände und ihrer Regierung.